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Tannöd

Maya Fanke und Doris Happl.
Scala Wien und Stadttheater Mödling

Rolle: Kurt Huber und weitere

Regie: Rüdiger Hentschel
Bühne: Rüdiger Hentschel
Kostüme: Alexandra Fitzinger
Musik: Fritz Rainer

Sechs Menschen wurden auf einem Bauernhof brutal abgeschlachtet. Bauer und Bäuerin, die Tochter und ihre beiden Kinder sowie eine Magd. Wie es dazu kam, erfährt man in einer Inszenierung von Rüdiger Hentzschel. Dieser schafft mit einer höchst kunstvollen Taktung des Geschehens einen Spannungsbogen von der ersten bis zur letzten Minute. Ganz idyllisch lässt er das Stück mit einem 8-stimmigen Jodler beginnen. Wohl fühlt man sich dabei aber trotzdem nicht, zu herb ist das ebenfalls von Hentzschel verantwortete Bühnenbild. 20 Leitern sind auf der Bühne angeordnet, ein unüberblickbares Gewirr von Holzstangen, gebettet auf stark duftendem Rindenmulch.

Bald schon wechselt der Gesang zu kollektiv gesprochenen Gebeten und unendlich langen Fürbitten, während das Ensemble mit gefalteten Händen zwischen den Leitern hin- und her schreitet. Die authentischen Kostüme (Alexandra Fitzinger) lassen ebenfalls keinen Zweifel aufkommen; die Menschen, die hier in volksgläubiger Manier religiöse Hirnwäsche betreiben, sind bäuerlicher Abstammung. Sie sind Bewohner nicht nur eines Bauernhofes, sondern auch der benachbarten Höfe und des kleinen Ortes, in dem der Pfarrer und der Bürgermeister das Sagen haben.

Wer der Täter war, ist die große Frage. Denn es gibt mehrere Möglichkeiten. Vinzenz, der Barbaras Tochter gezeugt haben soll, dann aber nach Amerika auswanderte?Georg, der sich nach dem Tod seiner Frau in Barbara verliebte und mit ihr den Sohn Josef bekam? Der Einbrecher, der nach der Tat psychisch erkrankte oder jener „Fremdarbeiter“, der sich für den Tod einer jungen Frau rächen wollte, die sich auf dem Hof während des Krieges erhängte? Neben den Hauptpersonen haben rund zehn weitere ihren Auftritt, was für das extrem homogene Ensemble Mehrfachbesetzungen bedeutet.

Dabei decken die Frauen mit ihren Rollen, Monica Anna Cammerlander, Carina Thesak, Johanna Withalm und Birgit Wolf, all jene Charaktereigenschaften ab, die es in einer sozial höchst ungesunden, kleinen Dorfstruktur zu finden gibt: Sie sind unterwürfig, ängstlich, tratschsüchtig, bigott. Barbaras Ausbruchsversuch bleibt letztlich ohne Konsequenz für sie und ihre Familie. Ohne Eitelkeit, extrem glaubhaft und berührend von Johanna Withalm dargestellt, ist sie jener ungewollte Mittelpunkt des Geschehens, der von Beginn bis zum Schluss das bittere Los eines weiblichen Opfers tragen muss. Unter die Haut geht jene Szene, in der sie sich neben ihrem Vater auszieht und wäscht, während dieser (Hermann J. Kogler) in Unterwäsche ein unangenehmes Gefühl von abstoßender, körperlicher Nähe über die Bühnenrampe bringt. Kogler schlüpft auch in die Rolle eines Knechts sowie des Pfarrers, der sich seiner giftspritzenden Köchin nicht erwehren kann. Sebastian Anton Maria Brummer, Bernie Feit und Wolfgang Lesky geben dem Monteur, dem Briefträger, dem Bürgermeister und Barbaras Liebhaber Vinzenz kantige Profile.

Der Vorfall basiert auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1922. Im Gegensatz zur Bühnenfassung, die mit der Entlarvung des Täters endet, wurden die Morde auf dem Einödhof Hinterkaufeck nie aufgeklärt.

„Tannöd“ in der Scala ist ein dunkles Stück, erstklassig besetzt, dessen Regie die knappen Textpassagen spröde aber anschaulich umsetzt. Es ist ein theatralisches Streiflicht in eine Zeit, in der ein grausames Patriarchat von einer obrigkeitshörigen Gesellschaft gedeckt wurde. Die Inszenierung hebt nicht das Mordgeschehen in den Vordergrund, sondern vielmehr die gesellschaftlichen Umstände, die zu diesem überhaupt führen konnten. Die Tötung der Danners hat zwar in letzter Konsequenz ein Mensch durchgeführt. Die Schuld am Leid der Familie verteilt sich aber auf viel mehr Schultern. Ein großer Stoff und großes Theater in einem kleinen Haus. Sehenswert!

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...doch agiert das gesamt Ensemble so überzeugend, dass „nur“ ihre Namen angeführt werden – versehen mit dem gemeinsamen Prädikat: Beeindruckend!
die Kleinkunst
Den Besuch dieser Aufführung sollte man sich wirklich nicht entgehen lassen!
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Sehenswert!
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