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Ins offene Messer

Texte von Augusto Boal, zusammengestellt von Manfred-Lukas Luderer

Rolle: Barra

Regie: Manfred-Lukas Luderer

Drei Frauen, drei Männer. Und Zeit. Viel Zeit. Ein Selbstmord. Und wieder. Koffer...
Dazwischen ausgespannt die Reise. Die Reise, die nie zu Ende geht. Die Flucht. Sie sind zusammen unterwegs, diese sechs Menschen. Immer. Sie sind dazu gezwungen.
Die drei Paare, der Doktor und Marga, Foguinho und Barra, Maria und Paulo, sind allesamt politische Flüchtlinge. Sie sind auf der Suche nach einem ruhigen, friedlichen Land, in dem sie leben können.

Die Wurzeln zu ihrem Heimatland sind gekappt. Haltlos taumeln sie auf den Straßen des Exils, hin- und hergeworfen zwischen - mitunter traumatischen - Erinnerungen an die Vergangenheit, Sehnsüchten nach einer besseren Zukunft und der Realität einer elenden Gegenwart. Alles, was sie besitzen, ist in ihren Koffern. Sie dienen ihnen als Stuhl, Tisch, Bett ..., als karges Mobiliar, mit dem sie sich notdürftig in immer anderen Räumen einrichten.

Nie haben sie dabei ein eigenes Zimmer, eine Rückzugsmöglichkeit. Ruhe und Alleinsein wird im Alltag der Flüchtlinge zu einer nicht verwirklichbaren Wunschvorstellung. In der permanenten Anwesenheit und Enge werden die Anderen zu unerträglichen "häßlichen Gesichtern", denen man unentwegt ausgesetzt ist.
Nicht nur die nervtötende Gegenwart der Mitflüchtenden, sondern ebenso der - zumeist plötzliche - Zwang zum Wechsel des Ortes besetzt das Denken der Flüchtlinge und verbraucht ihre Empfindungskräfte.

In der Erwartung eines neuerlichen Aufbruchs stehen ihren Koffer immer griffbereit. Unterwegssein und Nicht-Ankommen als kennzeichnende Merkmale orientierungsloser, ihren Fundamenten entrissener Flüchtlinge.
Unter diesen Bedingungen zerfällt die Kommunikation der Gruppe zusehends in Bruchstücke sarkastischer, absurder oder belangloser Dialoge. Zuhören und echtes Interesse am Anderen geht ebenso schnell verloren, wie Haß,

Unwillen, Gleichgültigkeit und Boshaftigkeit sich untereinander breit machen. In ihren Gefühlen füreinander werden sie hastig, ungenau, beinahe wahllos. Je länger die Flucht dauert, um so mehr verändert und zerstört sie die Identität der Fliehenden.
"Mit der Faust ins offene Messer" hat sich durchgesetzt als das exemplarische Stück über das Schicksal politischer Flüchtlinge, als das Exilstück schlechthin.

In der vorliegenden, bühnenbildnerisch bewußt karg gehaltenen Inszenierung von Markus von Hagen wurde der ursprünglich südamerikaspezifische Text auf eine eher neutrale, länder-unabhängige Ebene transponiert.

Die Identifikation und Einfühlungsbereitschaft der ZuschauerInnen im europäischen Raum wird so unterstützt.

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