« Zurück zur Übersicht

RATTENSTURM.

Angriff auf ein Sinkendes. Orchestriert.

 

Libretto, Inszenierung, Bühnen-, Video- und Lichtkonzepte Peter Wagner
Komposition Erling Wold
Musikalische Leitung Alexei Kornienko und Elena Denisova
Orchester Collegium Musicum Carinthia
Chor Bernd Lambauer, Chista Mäurer, David McShane, Michael Paumgarten,
Nadia Petrova, Dietmar Pickl, Karin Riessner und Waltraud Russegger
Bühengestaltung Manfred Bockelmann
Kostüm Markus Kuscher

Korrepetitor Kun Sang Lee
Casting Waltraud Russegger
Regieassistenz Kerstin Haslauer
Produktionsleitung David Guttner
Licht Gottfried Lehner
Ton Konrad Überbacher
Bühnenbau Gottfried Lehner und Siegfried Unterweger
Büro Franz Doliner

Brillante Demaskierung der Bestie

Klagenfurt: Jubel für einen großartigen „Rattensturm“ im ke-Theater Halle 11

Am bitteren Ende sind sie alle krepiert – winselnd und wimmernd im eigenen Blut, das wie ein Schrei auf titenschwarzer Bühne hockt und sich im kolossalen Bühnenbild zum gähnenden Schiffsbauch aufwirft. Dieser ist Resonanzkörper und Echoraum für die Kriegsoper „Rattensturm“, deren Uraufführung für das klagenfurter ensemble Mittwoch zum bejubelten Ereignis gerät.

Was für ein gewaltiger Wurf ist da gelungen mit dieser so brillanten wie eindringlichen Demaskierung glühender Kriegstreiberei, großer Geister und perverser Allmachtsfantasien, die sich am Untergang der Szent István, Pracht und Stolz der k.u.k. Kriegsmarine festmachen und auf genial verschränkten Handlungsebenen zum universellen Abgesang verdichten. Komponist Erling Wold, renommierter Experimentator des Mikrotonalen, vermisst die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges mit filmmusikalischer Melancholie und ohrgängiger Melodik, die mit dem blendend disponierten Collegium Musicum Carinthia unter Alexei Kornienko aus der repetitiven Hypnotik eines Philip Glass erstehen mit langem Wellenschlag ans Ohr branden.

So unaufgeregt die Minimal Music des Amerikaners ein weiches, sakral behaftetes, von Trommelwirbel, Lebensdurst und tiefer Trauer durchpulstes „Leichentuch“ über den Todeskampf von Schiff und Völkern legt, während Elena Denisovas Geigenklagen die versunkene Hoffnung beweint, so virtuos entfacht Regisseur und Librettist Peter Wagner einen naturgewaltigen „Rattensturm“.

Besagter bläst mit grandiosem Sänger-Ensemble und perfekt getimtem, virtuellem Chor zu orchestrierten „Angriff auf ein Sinkendes“, und tritt im Schiffsbauch von Manfred Bockelmanns Riesenbühne der Bestie Krieg Raum und Geist füllend entgegen. „Der Krieg beginnt bei der Sprache“, sagt Wagner und macht die Sprache (einmal mehr) zu seiner schärfsten Waffe: Zitate von „Kriegern“, Philosophen, Künstlern und Literaten fließen in sein Libretto mit ein und entlarven als „Propaganda“-Parolen das Kriegshandwerk als menschenverachtendes Allmachtsspiel, das keine Sieger kennt. Parallel dazu verschränkt sich die historische Tragödie der Szent István zur universellen Metapher des Scheiterns, das Angie Mautz als Erzählerin ebenso brillant trägt wie alle Beteiligten. Nach knapp zwei Stunden bleibt die Erkenntnis, dass dieser bejubelte „Rattensturm“ etwas Großes ist, das weit über die Landesgrenzen zu strahlen vermag. Ein Muss!

Irina Lino, Neue Kronenzeitung, 15. Juni 2018

Weiterlesen